Radiointerview für MDR Kultur über unser Projekt

Das Interview führte Hartmut Schade mit einem unserer Projektleiter, Professor Dr. Jens Herzer, und der Arbeitsstellenleiterin Dr. Nicole Oesterreich. Es wurde am 15.12.2024 ausgestrahlt.

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Transkript

0:00: Ein Roman über Josef und Maria [Anmerkung CJHNTdigital: Hier sollte eigentlich Aseneth stehen.], apokalyptische und philosophische Texte die historischen Berichte von Flavius Josephus sie bilden einen Teil der Schriften, mit denen sich Jens Herzer befasst.
0:12: Daneben interessiert uns speziell auch das, was wir Alltagskultur nennen, also Dokumente, etwa Kaufverträge, Eheurkunden, Scheidungs Urkunden, Quittungen.
0:23: In ihnen findet der Leipziger Professor für das Neue Testament vertraute Begriffe in einem ganz anderen Kontext, so pistis – glauben, in den profanen Verträgen steht das Wort für Treue und Verlässlichkeit.
0:38: Wenn man das dann wahrnimmt, dass Menschen mit solchen Begriffen im Alltag konfrontiert waren, vom Alltag her bestimmte Bedeutung damit verbunden haben, dann ist das für uns natürlich auch von hohem Wert noch mal neu auf unsere neutestamentlichen Texte und auch auf unsere Auslegungstraditionen zu schauen, zum Beispiel bei der Geschichte vom barmherzigen Samariter.
0:57: Ein Mann wird ausgeraubt und halbtot liegen gelassen, ein Priester geht an ihm vorbei, ohne ihm zu helfen.
1:03: Anders der Samariter. In dem jüdischen Text geht es aber gar nicht Nächstenliebe, sondern die Einhaltung der jüdischen Reinheitsgebote, sagt Dr. Nicole Österreich von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften.
1:17: Dem Priester ist verboten, Totes anzufassen, und er weiß nicht, ob dieser Mensch schon gestorben ist oder nicht, und er darf dann nicht mehr seinen Priesterdienst versehen, und das war natürlich durch seine Lebensgrundlage.
1:29: Die ganze Debatte ist also, ob das Reinheitsgebot für Priester höher steht als die Nächstenliebe.
1:37: Die richtige Auslegung des Gesetzes ist das zentrale Thema im Judentum jener Zeit, und das schlägt sich auch in den Texten nieder, sagt Jens Herzer.
1:47: Wenn man die Bergpredigt liest, ist das eine Auseinandersetzung mit dem jüdischen Gesetz Wie legt man dieses jüdische Gesetz richtig aus?
1:55: Und das ist, denke ich, ein ganz wichtiger Punkt, sich das klarzumachen, dass wir uns hier gerade mit der Jesus Tradition sehr eng innerhalb dieser jüdischen Kontexte bewegen.
2:05: Wichtig ist der Plural jüdische Kontexte.
2:09: Die Schriften, die im Akademieprojekt digital zusammengeführt werden, entstanden zwischen 300 vor und 200 Jahren nach Christi Geburt.
2:17: Es ist die Zeit, da Judäa, römische Provinz und der Tempel in Jerusalem zerstört wird, viele Juden fliehen aus dem Land, Sie leben fortan im ägyptischen Alexandria, in Mesopotamien, Syrien, Kleinasien und in Griechenland.
2:32: Aus all den Regionen gibt es jüdische Texte, beeinflusst von der Sprache und Kultur ihrer Entstehungsregion.
2:39: Ich habe sehr großen Spaß daran, die Texte zuerst einmal literarisch zu lesen und die Autoren auch als solche wahrzunehmen und dann weiterzugehen. 2:49: Was bedeutet es denn eigentlich für uns heute? 2:52: Und das ist für mich dann die theologische Frage, die wir auch immer stellen müssen.
2:55: Wenn Menschen im ersten Jahrhundert das anders gelesen haben, was bedeutet das dann eigentlich für uns?
3:01: Im Einzelfall wird also die Sammlung aller jüdischen Texte über 500 Jahre und fast die gesamte Mittelmeerregion hinweg unser Verständnis des Neuen Testaments verändern.
3:11: Ja, meint der Leipziger Neutestamentler Jens Herzer.
3:15: Also, ich denke schon, dass das auf jeden Fall Konsequenzen hat, wenn man sozusagen das Christentum nicht mehr als eine eigenständige und vom Judentum getrennte Religion wahrnimmt, so wie wir das traditionell gewöhnt sind, sondern eben als eine Glaubensbewegung, die aus dem Judentum kommt und mit dem Judentum verbunden bleibt.
3:36: Die Idee für eine Sammlung und Kommentierung aller jüdischen Texte aus dem Umfeld der Evangelisten und Apostel ist schon über 200 Jahre alt.
3:45: stammt also aus einer Zeit, da man die Schriften des Neuen Testaments erstmals in ihren historischen Hintergrund einordnete und so zu neuen Erkenntnissen kam.
3:55: Das ist nun auch bei der neu entstehenden digitalen Sammlung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu erwarten.